Die Entscheider der Zukunft

Wir leben im Zeitalter der Automation: Nachdem die Arbeit in der Landwirtschaft und den Fabriken von Maschinen übernommen und in weiterer Folge die Kommunikation digitalisiert wurde, kommt nun die nächste Stufe: Wir automatisieren die Entscheider. Manager, Informatiker, Ärzte und mehr – durch maschinelles Lernen erhalten unzählige Berufe neue Werkzeuge zum Erfolg.

Die Entscheider der Zukunft

Waren die Werkzeuge der maschinellen Revolution Motoren und Strom und diejenigen der Digitalisierung Computer und Internet, ist der Treiber dieser neusten Phase maschinelles Lernen (ML). Sie baut auf der Digitalisierung auf, denn ML braucht Daten, viele Daten, um Muster zu erkennen, sich Wissen anzueignen, seine neuronalen Netzwerke zu trainieren.

Wahrscheinlich wird es erst in ferner Zukunft eine „allgemeine künstliche Intelligenz“ geben. Aber Computer sind bereits heute in der Lage, durch große Rechenkraft und neue, clevere Algorithmen zu lernen und – ganz abstrakt gesagt – zu entscheiden: Ein Bild zu analysieren und zu entscheiden, was darauf zu sehen ist; zu entscheiden, was ein chinesisches Wort auf Englisch bedeuten könnte; oder eine Schach-Partie zu lesen und zu entscheiden, welcher Zug der beste wäre.

Automatisierung von Entscheidungen

Diese Fähigkeit wird die Welt verändern: genau wie die erste Stufe der Automatisierung die Produktion, das Erzeugen von Waren neu erfunden, und die Digitalisierung jeden Beruf von Grund auf gewandelt hat, der irgendwie mit Kommunikation oder Handel zu tun hat, wird die dritte Stufe alle Berufe umwälzen, die entscheiden.

Wird es in Zukunft Übersetzer geben? Ärzte? Manager? Informatiker? Anwälte? Schriftsteller? Wahrscheinlich. Aber ihr Arbeitsinhalt wird sich stark verändern, sie werden andere Werkzeuge haben. Auch den Bauern gibt es heute noch, aber er sitzt auf einem Traktor und steht nicht mehr hinter einem Pflug.

Übersetzer wird es in heutiger Form nicht mehr geben. Geschriebenen Text kann ML – etwas unterstützt und lektoriert – bereits heute gut übersetzen. Ein Arzt der Zukunft wird eine Blutprobe oder ein Röntgenbild durch ML beurteilen lassen. Die Managerin der Zukunft wird ihre Entscheidung, zu welchem Preis ein Produkt angeboten werden soll, durch ML vorbereiten lassen. Um Code von einer Programmiersprache in eine andere zu übertragen, wird es keine Informatiker mehr benötigen. Anwälte werden mithilfe von ML recherchieren und vergleichbare Fälle finden. Und warum soll nicht eine ML-Software einen Bestseller schreiben? Alle Bücher eines Genres lesen, analysieren und daraus ein neues Buch ableiten, das den Publikumsgeschmack perfekt trifft?

Mensch vs. Maschine

Vor allem die gut bezahlten Berufe sind von dieser „Automatisierung der Entscheidungen“ betroffen; Berufe die durch Ausbildung, Wissen, und vor allem Erfahrung bisher recht unbehelligt von Veränderung waren. Kann eine Maschine anhand der Kaufhistorie oder des Browserverlaufs tatsächlich besser als ein Mensch wissen, welche Vorlieben der Kunde hat? Kann es denn wirklich sein, dass ein Computer besser das Blutbild analysieren kann als ein Mensch? Daraus besser und genauer ableiten kann, welche Krankheit der Patient hat?

Selbstverständlich! Nicht von Anfang an, aber umso mehr, je besser das System trainiert ist. In den ersten Wochen und Monate lernt es die Grundlagen, einsam in einem Rechenzentrum. Mit allen verfügbaren Daten zu Blutproben, allen digitalisierten Studien zu Krankheiten, die daraus abgeleitet werden können. Und später, wenn es eingesetzt wird, zuerst nur zu Testzwecken, lernt es Tag für Tag bei hunderttausenden Ärzten auf der ganzen Welt – und mit immer mehr Daten, immer mehr Fällen, und dem Feedback um die Vorhersagen zu verifizieren und daraus zu lernen, entweder durch den Krankheitsverlauf oder durch eine spätere Blutanalyse. Und über die Jahre, nachdem das eine System (denn es ist nicht in jeder Arztpraxis eine eigene Software, die nur für sich lernt, es gibt nur eine, in der Cloud) Milliarden von Blutproben von Millionen von Patienten analysiert und aus jeder einzelnen etwas gelernt hat, wird es ein Werkzeug sein, das immer noch einen Arzt braucht, der es bedient und nutzt. Aber welcher Arzt würde freiwillig auf ein solch mächtiges Werkzeug verzichten wollen? Und welcher Patient? Und wer wird ihm widersprechen?


Autor: Christian A. Rusche, Verwaltungsrat und Leiter der Produktentwicklung bei BSI Business Systems Integration AG

Post Author: Redaktion des ROBINAUT